4.25. Bewertungsprozess

Der Bewertungsprozess begleitet das Unternehmen, das Management und die Gesellschafter kontinuierlich über den ganzen Projektverlauf des IPOs bis hin zur Erstnotiz. Bewertungsanalyse, vergleichende Bewertung, Peergroup und Diskontierungs-Modelle sind die Klaviatur, auf der die Corporate-Finance-Abteilungen, Analysten und letztendlich auch die Investoren den Wert des IPO-Kandidaten immer wieder aufs Neue orchestrieren. Aus Sicht des Unternehmens ist es wichtig, zu beachten, dass der Bewertungsprozess zwar nach objektivierten Methoden, aber nach subjektiven Zielen ausgerichtet ist. Anfangs konkurrieren Banken um das Mandat, was zu tendenziell höheren Bewertungen führt. Bei der Platzierung konkurrieren die Sales-Abteilungen um Anlagekapital
und die Investoren um Rendite, was tendenziell zu einer niedrigeren Bewertung des IPO-Kandidaten führt.

I. BEWERTUNGSMETHODEN

Nach Notierungsaufnahme legt der Kapitalmarkt den Wert des Unternehmens an jedem Handelstag aufs Neue fest. Vor der Notierungsaufnahme versuchen die Beteiligten, einen fairen Marktwert vorwegzunehmen. Hierzu bedienen sich die Bewertungsexperten in einem iterativen Prozess einer Vielzahl etablierter und anerkannter Bewertungsmethoden.

Peergroup-Bewertung

Im Rahmen der Peergroup-Bewertung erfolgt eine vergleichende Analyse des IPO-Kandidaten mit bereits am Kapitalmarkt notierten vergleichbaren Unternehmen. Idealerweise weisen die Unternehmen der Peergroup die gleiche Sektorzugehörigkeit, Ähnlichkeiten im Businessmodell und im Chance-Risiko-Profil auf. Eine an der Peergroup ausgerichtete Bewertung beinhaltet i. d. R. drei wesentliche Gruppen von Vergleichskennzahlen:

  • ROI orientiert (KGV, Dividendenrendite etc.)
  • Operativ orientiert (EV/EBIT bzw. EV/EBITDA etc.)
  • Substanz orientiert (Kurs-Buchwert-Multiple etc.)

Stand-alone-Bewertung

Die Stand-alone-Bewertung stellt ausschließlich auf die langfristig erwartete Entwicklung des Unternehmens
ab, ohne mögliche Bewertungsverzerrungen der Peergroup auf den IPO-Kandidaten zu übertragen. Am weitesten verbreitetet ist die Discounted-Cashflow-Methode, bei der der zukünftige operative Free Cashflow mit einem individuell risikoadjustierten Zins auf den Bewertungszeitpunkt abgezinst wird.

II. DIE „BEAUTY CONTEST “ – BEWERTUNG

„Big is beautiful“…

… gilt für die indikative Unternehmensbewertung im Beauty Contest. Bei der Auswahl der IPO-begleitenden
Banken sind sowohl das Management (maximaler Mittelzufluss im Unternehmen) als auch die abgebenden
Altgesellschafter (maximaler Mittelzufluss in der Kasse) an einer möglichst hohen Bewertung des Unternehmens interessiert. Ein wesentlicher und umfangreicher Teil der „Pitch-Präsentation“ der Banken widmet sich daher auch dem Kapitel Unternehmensbewertung.

Bewertungsbasis: der Unternehmensbusinessplan

Die Bewertung für den Beauty Contest wird von den Corporate Finance/ECM Abteilungen auf Basis der vom Unternehmen herausgegebenen Planungen vorgenommen. Diese sind naturgemäß i. d. R. eher optimistisch gehalten. Im Zuge der Due Diligence werden anfängliche Bewertungsindikationen deshalb sehr häufig nach unten revidiert.

Gewichtung Peergroup-Methoden und DCF

Die Anwendung der DCF- Methode auf anfängliche Unternehmenspläne führt häufig zu höheren Unternehmenswerten als der Peergroup-Vergleich. Mit zunehmender Marktnähe gewinnt die Platzierbarkeit
und damit der Peergroup-Vergleich an Relevanz.

III. DIE INVEST OR/ANALYST – BEWERTUNG

„Der Markt hat immer Recht“

… und das jeden Tag aufs Neue. Während die Beauty-Contest-Bewertung der Sicht der Verkäufer, d. h. des Unternehmens und des Altgesellschafters entgegenkommt, tendieren Analysten und Investoren zur Käuferperspektive und damit zu einer eher konservativen Bewertung.

Investoren/Analysten

Mit Veröffentlichung der Researchstudien und der Investor Education beginnt die Unternehmensbewertung auf der anderen Seite der „Chinese Wall“. Investoren und Analysten monitoren permanent insbesondere

  • die Entwicklung der Businessmodelle, des Produkt-Mix, der Vertriebswege, der Kundenverträge etc.,
  • die Marktpositionierung und Wettbewerbsfähigkeit unter Beachtung zahlreicher Management-Gespräche
    mit Wettbewerbern und Lieferanten,
  • die Management-Teams, insbesondere bezüglich Berechenbarkeit und Verlässlichkeit
  • und reagieren hochsensibel auf jegliche Informationen.

Kapitalmarkt

Die permanente und sehr komplexe Auswertung von Informationen macht die jeweilige Kapitalmarktsituation zu einer schwer berechenbaren Einflussgröße auf den Platzierungspreis. Insbesondere in volatilen Marktphasen sollte der Preisbildungsprozess daher möglichst zügig erfolgen.


Autoren: Dr. Jochen Grossmann / Michael Schatzschneider
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