4.37. Marketing und Investor Relations

Investor Relations kann grundsätzlich verstanden werden als „Aktienmarketing“ oder „Investor Marketing“. Der Aktionär kann als der umworbene „Kunde“ verstanden werden und die Aktie als das vertriebene „Produkt“. Dabei geht es um weitaus mehr als das unseriöse Anheizen von Marktmeinungen. Legitimes Ziel von IR ist, dass die Aktie des eigenen Unternehmens im Anlageentscheidungsprozess des Investors bevorzugt wird. Um bereits beim Börsengang effektiv zu kommunizieren, müssen die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse der wichtigsten Zielgruppen und deren Verhaltensweisen berücksichtigt werden.

WAS soll kommuniziert werden? – Die Equity Story

Die Equity Story oder Kapitalmarktstory ist inhaltlich der Dreh- und Angelpunkt der IR-Kommunikation und sollte deutliche Antworten auf zwei Fragen geben:
Was macht das Unternehmen und warum sollte ein Investor die Aktie kaufen?
Konkrete Maßnahme: Entwickeln Sie die Equity Story Ihres Unternehmens anhand der folgenden drei Schritte:

  1. Analysieren Sie Branchentrends, Wachstumspotenziale und die Wettbewerbspositionierung Ihres Unternehmens und stellen Sie diese einfach und nachvollziehbar dar.
  2. Analysieren Sie die unternehmensspezifischen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken.
  3. Filtern Sie im letzten Schritt die eigentlichen Kaufgründe heraus (Investment Case) und orientieren sich u. a. an folgenden Punkten: Alleinstellungsmerkmal, Geschäftsmodell, Innovationskraft, Management, Emissionskonzept (hierzu zählt z. B. die Mittelverwendung, die Aktionärsstruktur, die angepeilte Liquidität der Aktie, Lock-up-Fristen etc.) sowie konkrete Vorteile für das Unternehmen durch den Börsengang.

AN WEN soll kommuniziert werden? – Die Zielgruppen der Investor Relations

Bevor Sie mit dem Aktienmarketing beginnen, sind die bedeutendsten Zielgruppen für Ihr Unternehmen
zu definieren. Wer soll Ihre Aktie kaufen und wer beeinflusst die Meinungsbildung am stärksten? Jede
Zielgruppe zeichnet sich durch spezielle Interessen und Anforderungen aus, die für eine effiziente Kommunikation der Kapitalmarktstory berücksichtigt werden sollten. Dies sind im Wesentlichen:

Institutionelle Anleger (Fonds, Banken, Vermögensverwalter). Sie handeln i. d. R. nach einer
definierten Portfoliostrategie und bewegen relativ hohe Volumina mit einem vergleichsweise hohen Umschlagtempo.

Fazit für das Marketing:

Sie erwarten Informationen aus erster Hand (oftmals direkt vom Vorstand) und beurteilen in erster Linie die Glaubwürdigkeit des Managements. Diese Zielgruppe erwartet vom Management eine hohe Kapitalmarktorientierung, indem wesentliche Informationen nachvollziehbar aufbereitet und aktuell zur Verfügung gestellt werden. Der Qualität der Guidance, d. h. mit welcher Genauigkeit das Unternehmen Vorhersagen im Rahmen des rechtlich Möglichen treffen kann, schreiben institutionelle Investoren eine besonders hohe Bedeutung zu.

Privatanleger treffen ihre Entscheidungen überwiegend gefühlsmäßig. Sie zeichnen sich durch geringere Anlagebeträge mit einer verhältnismäßig langen Reaktionszeit aus und tragen insofern zu
einer Stabilisierung des Aktienkurses bei.

Fazit für das Marketing: Diese Zielgruppe bezieht die meisten Informationen aus diversen Drittquellen, oft ohne sich selbst mit dem Unternehmen detailliert auseinandergesetzt zu haben. Die Beeinflussung durch Medien, die Reputation des Börsenkandidaten sowie der persönliche Bezug zum Unternehmen spielen eine wesentliche Rolle für die Investitionsentscheidung.

Multiplikatoren, d. h. im Wesentlichen Analysten und Journalisten, bieten für den Börsenkandidaten den größten Hebel, um Botschaften zu transportieren. Die „Coverage“, sprich die regelmäßige Berichterstattung über das Unternehmen durch qualifizierte Analysten, etwa von einer international renommierten Investmentbank, ist gerade für junge und kleinere Börsenwerte ein wichtiger
Erfolgsausweis und generiert Aufmerksamkeit.

Fazit für das Marketing: Diese Zielgruppe kommt als Meinungsbildner eine hohe Bedeutung zu. Da die Analysten vor der Aufgabe stehen, den fairen Preis einer Aktie zu berechnen und Kurspotenziale sowie -risiken aufzuzeigen, sollte die Erläuterung der Kapitalmarktstory und die Orientierung für die Entwicklung der wichtigsten Kennzahlen (Guidance) im Vordergrund stehen. Auch nach dem IPO muss diese Zielgruppe besonders zeitnah und kontinuierlich mit Informationen aus dem Unternehmen versorgt werden.

Mitarbeiter sind sowohl wichtige Botschafter des Unternehmens als auch vielfach selbst Aktionäre, etwa über Mitarbeiterbeteiligungsprogramme. Sie tauschen mit Kollegen, Nachbarn, Freunden, im Internet oder mit Geschäftspartnern Neuigkeiten aus dem Unternehmen aus. Dies geschieht meist ungefiltert, d. h., IR-Sprachregelungen oder Kommunikationsvereinbarungen werden nicht berücksichtigt.

Fazit für das Marketing: Zeitnahe, umfassende Information und Betreuung der Mitarbeiter ist von hoher Bedeutung, um einerseits Verstöße gegen die Insiderregeln des Wertpapierhandelsgesetzes zu verhindern und anderseits die nötige Akzeptanz von Entscheidungen zu fördern sowie die Identifikation mit dem Arbeitgeber zu verstärken.

WIE soll kommuniziert werden? – Einzelne Marketinginstrumente der IR

„Roadshows“ und Einzelgespräche („One-on-Ones“)

Einzelgespräche im Rahmen von Roadshows sind bevorzugten Betreuungsmaßnahmen des Unternehmens für institutionelle Investoren. Institutionelle Investoren schätzen es, wenn das Top-Management (in der Regel Vorstandsvorsitzender und/oder Finanzvorstand) in Begleitung des IR-Managers ein- bis zweimal im Jahr aktiv auf sie zukommt und für intensive Gespräche zur Verfügung steht, z. B. als Round-Table- bzw. Frühstücksmeeting oder als Kamingespräch. Roadshows werden meist im Anschluss an die Veröffentlichung von Quartalszahlen oder sonstigen außerplanmäßigen wichtigen Ereignissen durchgeführt. Dabei werden i. d. R. die großen internationalen Finanzplätze wie Frankfurt, Zürich, London, New York, Boston, Singapur, Tokio,
Hongkong besucht, aber auch die Heimatorte wichtiger Investoren.
Der Vorstand hat ca. 45–60 Minuten Zeit, um die Ergebnisse den Buy-Side-Analysten bzw. Portfoliomanagern
zu präsentieren und mit ihnen über die weitere Unternehmensstrategie zu diskutieren. Neben einer klaren Darstellung der Equity Story wird von den institutionellen Investoren besonders auf die Soft Facts wie Vertrauenswürdigkeit des Managements und Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Strategie geachtet.
Die Roadshow-Organisation kann bei entsprechenden Ressourcen von der IR-Abteilung selbst durchgeführt
werden, andernfalls wird sie Brokern bzw. deren „Corporate-Access-Teams“ übertragen. Sie haben meist einen guten Kontakt zu den Investoren und schlagen Besuchsadressen vor. Speziell beim IPO werden die konsortialführenden Banken die erste Roadshow organisieren.

Analystenkonferenzen

Analystenkonferenzen richten sich primär an Sell-Side-Analysten und sollten ein- bis zweimal im Jahr durchgeführt werden. Es bieten sich Termine kurz nach der Veröffentlichung von Jahres- oder Quartalszahlen
an. Je nach Unternehmen werden die meisten Finanzdaten bereits am Morgen per Ad-hoc-Mitteilung z. B. über die DGAP bzw. als Pressemitteilung veröffentlicht, so dass die Teilnehmer vorbereitet zur Konferenz erscheinen. Neben der Erläuterung des reinen Zahlenwerks stehen daher weitere wichtige Entwicklungen im Vordergrund, wie z. B. geplante Akquisitionen oder die künftige Umsatzund Gewinnentwicklung. Insbesondere schwierige Sachverhalte oder negative Entwicklungen lassen sich besser in einer Analystenkonferenz klären als
in einer Telefonkonferenz. Für zeitkritische Themen oder im Rahmen der Erwartung liegende Quartalszahlen sind hingegen Telefonkonferenzen angemessener. Analystenkonferenzen können sowohl von der IR-Abteilung selbst organisiert werden als auch von externen Organisationen, wie der DVFA.

Aktionärsbrief

Der Aktionärsbrief oder Newsletter ermöglicht den direkten Kontakt zu den (Privat-)Aktionären ohne die
Einschaltung von Multiplikatoren. Er ist als kostengünstiger Distributionskanal geeignet, insbesondere Kleinanlegern Kenntnisse über den Kapitalmarkt und die Aktie sowie über Produkte und Dienstleistungen zu vermitteln bzw. Themen in den Mittelpunkt zu rücken, denen das Unternehmen einen besonderen Stellenwert beimisst. Je mehr es gelingt, den Aktionärsbrief zu personalisieren, desto besser kann er zur Kundenbindung i. S. v. Aktionärsloyalität beitragen.

Call Center

Im Gegensatz zum Aktionärsbrief erhält man mit dem Kommunikationsinstrument Call Center ein direktes Feedback der Privataktionäre, wie die (IR-)Botschaften des Unternehmens bzw. der Multiplikatoren verstanden und interpretiert werden. Da die Fragen an das Call Center i. d. R. eher allgemeiner Natur sind, hat das Unternehmen die Chance, durch vorbereitete Argumentationsketten die Equity Story in der Wahrnehmung zu verfestigen. Darüber hinaus signalisiert ein Call Center eine besonders hohe Transparenz und kann Missstimmungen auffangen und die Selbstwahrnehmung der Kleinaktionäre stärken. Eine steigende Loyalität gegenüber dem Unternehmen könnte die Folge sein.

Anlegermessen

Aktionärsmessen oder Börsentage wenden sich an allgemein Anlageinteressierte und werden von Börsenvereinen, Aktionärsvereinigungen und Messegesellschaften durchgeführt. Die IR-Abteilung gewinnt bei solchen unmittelbaren persönlichen Kontakten ein Gespür für die derzeitige Meinung der Privataktionäre. Mit diesem Feedback kann die Informationsversorgung für diesen Aktionärskreis verbessert werden und das Unternehmen lernt sich innerhalb der Finanzgemeinde besser einschätzen.

Geschäftsbericht/Quartalsbericht

Der Geschäftsbericht zählt zu den verpflichtenden, direkten und gleichzeitig unpersönlichen Instrumenten des Aktienmarketings und ist neben der Hauptversammlung das größte Projekt einer IR-Abteilung. Er enthält Bilanz, Gewinn-und Verlustrechnung, den Anhang sowie den Lagebericht, die durch Wirtschaftsprüfer testiert werden müssen. Zielgruppe des Geschäftsberichtes sind neben den Investoren und Multiplikatoren auch Mitarbeiter, Kunden, Gläubiger, Lieferanten sowie generell die Öffentlichkeit. Die Herausforderung besteht sowohl in der Ansprache einer derart heterogenen Zielgruppe als auch in der innerbetrieblichen Koordination. Der immer wieder beklagten Kompliziertheit der Berichte kann begegnet werden, indem genügend Leseanreize gegeben werden, damit auch Privataktionäre ohne spezielle Vorkenntnisse die Informationen verstehen und
bewerten können. Gleichzeitig erwarten Investment-Profis detaillierte Fakten und übersichtliches Zahlenmaterial. Auch im Geschäftsbericht ist die Equity Story die zentrale kommunikative Botschaft des Unternehmens, die z. B. durch das Vorwort des Vorstandes eingeleitet werden kann.

Die Qualität des Geschäftsberichtes entscheidet sich längst nicht mehr allein an dem Inhalt, sondern darüber hinaus werden Gestaltungskonzepte eingesetzt, die eine Verknüpfung zum Unternehmen herstellen und imagefördernd wirken sollen. Aus Kosten- und Umweltgesichtspunkten senden immer weniger Aktiengesellschaften ihren gedruckten Geschäftsbericht an alle Aktionäre, sondern reagieren nur noch auf Anfragen. Aus den gleichen Gründen entscheiden sich immer mehr Unternehmen für eine interaktive Online-Version des Berichts im Internet. Deren Funktionsumfang geht weit über die Möglichkeiten eines PDF hinaus und bietet zusätzliche gestalterische und imagefördernde Darstellungsmöglichkeiten (z. B. Flash-Animationen, abspielbare Vorstandsinterviews, Excel-Downloads, interaktive Tabellen).

Quartalsberichte schließen die Informationslücke zwischen den Geschäftsberichten. Zielgruppe sind eher die professionellen Kapitalmarktteilnehmer. Der Aufwand für Layout und Druck wird wesentlich geringer gehalten.

Internet

Sowohl institutionelle als auch private Anleger greifen auf die IR-Homepage zu, um sich zeitnah Informationen zum Unternehmen zu verschaffen. Allerdings bestehen unterschiedliche Anforderungen der Zielgruppen. Während bei den Profis Punkte wie Strategie, Präsentationen und Finanzkalender als erstes besucht werden, stehen bei den Privaten der Aktienkurs-Chart, Unternehmensmitteilungen und FAQs an erster Stelle.
Die IR-Webseite gilt auch als Quelle für alle Unternehmenspublikationen, seien es Ad-hoc-Mitteilungen bzw. sonstige WpHG-Meldungen oder auch Präsentationen und Quartals- und Geschäftsberichte. Multimediale Inhalte, wie Audio- oder Video-Webcasts von Analystenkonferenzen, ermöglichen sowohl das zeitgleiche als auch das zeitversetzte Informieren. Viele Unternehmen offerieren darüber hinaus aktuelle Benachrichtigungen per SMS und/oder E-Mail. Das Gesetz zur Änderung der Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung sowie das Transparenz- und Publizitätsgesetz erlauben Abstimmungen über das Internet, indem Weisungen an Unternehmensmitarbeiter in der Hauptversammlung bis unmittelbar vor der Abstimmung übermittelt werden können, sog. Internet-Proxy-Voting. Diese Vereinfachung kann zu einer höheren Abstimmungsteilnahme an HV-Abstimmungen führen. Einige Dienstleistungsunternehmen haben sich auf den professionellen Aufbau und die Pflege von IR-Webseiten spezialisiert und bieten den Emittenten eine vollständige Auslagerung an, wodurch die Arbeit in der IR-Abteilung erheblich vereinfacht werden kann.


Autor: Christian Heckemann
PDF: Marketing und Investor Relations