4.19. Legal Due Diligence

Es besteht keine gesetzliche Pflicht zur Durchführung einer Due Diligence. Da die Emissionsbanken jedoch der Inanspruchnahme durch Investoren wegen möglicher Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Wertpapierprospekts entgehen können, wenn diese nicht grob fahrlässig unerkannt blieb, wird jedoch stets eine Due Diligence durchgeführt, um nachzuweisen, dass keine grobe Fahrlässigkeit bei der Vorbereitung des Wertpapierprospekts vorlag. Ein wesentlicher Teil der Due Diligence ist die umfassende Untersuchung der rechtlichen Lage des Emittenten (Legal Due Diligence). Im Unterschied zur Due Diligence bei einer M&A-Transaktion wird die Legal Due Diligence nicht durch Konkurrenten, sondern durch die Rechtsberater des Emittenten (Issuer’s Counsel) und der Emissionsbanken (Underwriters‘ Counsel) durchgeführt. Ihr Ziel ist es, rechtliche Probleme und Risiken aufzudecken, diese entweder im Vorfeld zu beseitigen oder aber adäquat im Wertpapierprospekt zu schildern. In Deutschland wird regelmäßig hierüber kein Due Diligence Report erstellt; vielmehr fließen die Ergebnisse in den Wertpapierprospekt ein.

Die Ziele der Durchführung einer Legal Due Diligence lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Aufdeckung rechtlicher Probleme und Risiken
  • Schaffung der Grundlage für die Erstellung des Wertpapierprospekts
  • Schaffung der Grundlage für die Abgabe von Disclosure Letters durch die Rechtsberater gegenüber den Emissionsbanken

Vorbereitung der Legal Due Diligence

Emittenten als auch der Rechtsberater der Emissionsbanken eine Legal Due Diligence durch, um zum Zeitpunkt der Billigung und Veröffentlichung des Wertpapierprospekts sowie ggf. zu späteren Zeitpunkten im Laufe der Transaktion ausreichende Erkenntnisse zu haben, um den Emissionsbanken gegenüber einen Disclosure Letter abgeben zu können. Um den Prozess der Legal Due Diligence optimal vorzubereiten, wird zunächst ein auf die Branche des Emittenten zugeschnittenes Anwaltsteam aufgestellt. Handelt es sich um ein Chemieunternehmen oder ein Unternehmen aus dem Bereich der alternativen Energien, wird beispielsweise ein auf das öffentliche Recht spezialisierter Rechtsanwalt wichtiger Bestandteil des Due-Diligence-Teams sein.

Parallel dazu wird eine umfangreiche Legal-Due-Diligence-Fragenliste zusammengestellt und zwischen beiden Rechtsberatern abgestimmt, anhand derer der Emittent einen Datenraum mit Dokumenten zusammenstellt (Checkliste Legal Due Diligence). Mittlerweile ist es üblich, sich eines ausdruckbaren elektronischen Datenraums zu bedienen, so dass jeder Anwalt des Due-Diligence-Teams unmittelbaren Zugriff auf alle Dokumente während der gesamten Dauer der Transaktion erhält.

Des Weiteren sind öffentlich zugängliche Informationsquellen auszuschöpfen, etwa in Form einer im Vorfeld durchgeführten Internetrecherche.

Durchführung der Legal Due Diligence

Neben der Sichtung der Dokumente im Datenraum gehört zur Durchführung der Legal Due Diligence auch das Gespräch mit dem Management (Management Due Diligence). Je nach Unternehmensstruktur umfasst dies eine Befragung des Finanzvorstands, aber auch der Verantwortlichen für einzelne Geschäftsbereiche oder geografische Regionen. Ist zum Zeitpunkt der IPO-Vorbereitung bereits ein Syndikusanwalt (Inhouse Counsel) beim Emittenten tätig, werden die rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft in einem Gespräch mit ihm kritisch hinterfragt. Nicht zum Kernbereich der Legal Due Diligence gehörend, bieten daneben Gespräche mit dem für Steuern verantwortlichen Management des Emittenten (Tax Due Diligence) und seinem Abschlussprüfer (Audit
bzw. Financial Due Diligence) häufig zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Umfang der Legal Due Diligence

Der Umfang der Legal Due Diligence reicht aufgrund der oben genannten Zielsetzung weit. Letztlich sind alle Vorgänge abzudecken, die erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild über die wesentlichen rechtlichen Verhältnisse des Emittenten und seiner wesentlichen Tochtergesellschaften zu machen.

Wesentliche Tochtergesellschaften sind laut CESREmpfehlung (CESR/05-054b, Rz. 161) Unternehmen mit einem Buchwert von mindestens 10 % des Eigenkapitals des Emittenten und Unternehmen, die mindestens 10 % zum Gewinn/Verlust des Emittenten beisteuern sowie andere Gesellschaften, wenn sie aus sonstigen Gründen wesentlich für den Geschäftsbetrieb des Emittenten sind.

In der Regel stimmen die beauftragten Rechtsberater und die Emissionsbanken eine Wesentlichkeitsgrenze
ab, die sich häufig am Jahresumsatz orientiert. Vorgänge, die nicht diesen Schwellenwert erreichen, können jedoch auch zu untersuchen sein, wenn sie strategische Bedeutung für den Emittenten haben.

Der Prüfungszeitraum erstreckt sich in Anlehnung an die im Prospekt darzustellenden Finanzinformationen
üblicherweise auf die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre und das laufende Geschäftsjahr. Insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen kann aber auch eine darüber hinausgehende Prüfung erforderlich sein.

Schwerpunkt der Legal Due Diligence

Die Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse des Emittenten steht im Mittelpunkt der Untersuchungshandlungen. Hierzu zählen die Durchsicht der Gründungsdokumentation, der Dokumentation von Kapitalmaßnahmen, der Satzung, der vergangenen Hauptversammlungsprotokolle sowie der Vorstandsund Aufsichtsratsprotokolle der letzten Jahre.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Sichtung der wesentlichen Verträge, insbesondere langfristiger und großvolumiger sowie strategisch bedeutsamer Vereinbarungen und Finanzierungsverträge, auf ihre Wirksamkeit, Kündbarkeit, Wettbewerbsbeschränkungen, unübliche Gewährleistungsregelungen, Vertragsstrafeversprechen, „Change of Control“-Bestimmungen und Garantien.

Aufgrund des erforderlichen Detaillierungsgrads der Darstellung im Wertpapierprospekt sind die Geschäfte und Rechtsbeziehungen mit nahestehenden Personen (Related Party Transactions) zu untersuchen. Daneben sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, z. B. Subventionen, Steuererleichterungen, Genehmigungserfordernisse etc. abzuklären. Im Allgemeinen ist darüber hinaus die Durchsicht der arbeitsrechtlichen Dokumentation durch ein auf Arbeitsrecht spezialisiertes Mitglied des Anwaltsteams geboten. Je nach der Branche des Emittenten kann die Klärung umweltrechtlicher Fragen z. B. Altlasten von Bedeutung sein. Branchenunabhängig ist hingegen die Frage nach Rechtsstreitigkeiten, insbesondere Informationen zu anhängigen Aktiv- und Passivprozessen, Verwaltungs- und Schiedsgerichtsverfahren und drohenden Rechtsstreitigkeiten. Gewerbliche Schutzrechte und Patente sind, ggf. in Zusammenarbeit mit einem Patentanwalt, ebenfalls zu sichten.

SCHWERPUNKTE DER LEGAL DUE DILIGENCE

  • Gesellschaftsrecht
    • Gründungsdokumentation
    • Kapitalmaßnahmen
  • Wesentliche Verträge
    • Finanzierungsverträge
    • Strategisch wichtige Verträge
  • Geschäfte mit nahestehenden Personen
  • Rechtliche Rahmenbedingungen
    • Subventionen
    • Genehmigungserfordernisse
  • Arbeitsrechtliche Dokumentation
  • Rechtsstreitigkeiten
  • Gewerbliche Schutzrechte

Auf der Grundlage der durchgeführten Legal Due Diligence geben sowohl der Rechtsberater des Emittenten als auch die Rechtsberater der Emissionsbanken sog. Opinions (Disclosure Letter und Legal Opinion) ab. Dabei handelt es sich um formalisierte Stellungnahmen zu weitgehend standardisierten Themenbereichen. Hat der Emittent bedeutende Tochtergesellschaften im Ausland, werden diese Opinions bisweilen durch Opinions zusätzlich eingeschalteter ausländischer Anwälte ergänzt. Ebenso kann sich, je nach Branche, die Einholung der Opinion eines Patentanwaltes empfehlen.

Disclosure Letter

Der Disclosure Letter enthält keine rechtliche Stellungnahme. Vielmehr bestätigen die Rechtsberater, dass ihnen im Zuge der durchgeführten Legal Due Diligence keine Tatsachen bekannt geworden sind, wonach der Prospekt unrichtig oder unvollständig wäre. Ausgenommen bleiben die im Prospekt abgedruckten Abschlüsse und Finanzangaben des Emittenten (für die der Abschlussprüfer eine ähnliche Aussage im Comfort Letter trifft).

Legal Opinion

Die Legal Opinion enthält Stellungnahmen zur rechtlichen Beurteilung bestimmter Sachverhalte durch den Opinionersteller. Sie enthält bei einem IPO im Allgemeinen Aussagen über die wirksame Errichtung des Emittenten, die Existenz der angebotenen Aktien, das Vorliegen der erforderlichen Gremienbeschlüsse, die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit des Übernahmevertrags sowie dazu, dass die Durchführung des Börsengangs nicht gegen das Gesetz oder die Satzung des Emittenten verstößt.

US-Opinions

Sofern im Zuge des IPOs Aktien auch in den USA, etwa bei qualifizierten institutionellen Investoren nach Rule 144A unter dem U.S. Securities Act von 1933 privat platziert werden, sind US-Anwälte damit betraut, zusätzliche Opinions abzugeben. Sie nehmen einerseits zur Frage der Registrierungspflicht des Angebots in den USA Stellung (No Registration Opinion) und geben auf Grundlage der durchgeführten Due Diligence darüber hinaus einen weiteren Disclosure Letter nach U.S.-rechtlichem Standard (10b-5 Letter) ab. In Einzelfällen erweitert sich der Inhalt der rechtlichen Stellungnahme zur Registrierungspflicht auf weitere US-Fragen.

Zeitpunkt der Opinion-Abgabe

Um zu jedem Stadium der Transaktion, in dem sich die Risikoposition der Emissionsbanken verstärkt oder sie sich noch stärker am Markt exponieren, komfortabel zu sein, vereinbaren die Emissionsbanken im Übernahmevertrag zu jedem dieser Zeitpunkte eine erneute Opinion-Abgabe. Maßgebliche Zeitpunkte sind in der Regel die Billigung und Veröffentlichung des Wertpapierprospekts, die Zeichnung der neuen Aktien, die Vereinbarung des Platzierungspreises und die Überweisung des Emissionserlöses an den Emittenten.

Verwendung der Opinions

Die Opinions sind ausschließlich an die Emissionsbanken adressiert und dürfen von diesen lediglich im Zusammenhang mit dem Börsengang verwendet werden. Dies beinhaltet insbesondere die Verwendung zur Verteidigung gegen etwaige Prospekthaftungsansprüche, die von Investoren geltend gemacht werden könnten. Eine Weitergabe an die Erwerber der Aktien ist hingegen ausgeschlossen.

ÜBERBLICK ÜBER DIE OPINIONS BEIM IPO

  • Legal Opinion des Issuer’s Counsel
  • Disclosure Letter des Issuer’s Counsel
  • Legal Opinion des Underwriters‘ Counsel
  • Disclosure Letter des Underwriters‘ Counsel
  • Ggf. No Registration Opinion des Issuer’s Counsel
  • Ggf. 10b-5 Disclosure Letter des Issuer’s Counsel
  • Ggf. No Registration Opinion des Underwriters’ Counsel
  • Ggf. 10b-5 Disclosure Letter des Underwriters’ Counsel
  • Ggf. ausländische Legal Opinons
  • Ggf. Patentopinion eines Patentanwalts

Autor: Prof. Dr. Michael Schlitt / Dr. Susanne Schäfer / Dr. Thorsten Becker
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